Mercedes hat mit seiner Strategie, auf Premium & Elektrofahrzeug zu fokussieren, eine klare Richtung eingeschlagen. Diese muss man nicht unbedingt gut finden, bisher aber scheint der Plan aufzugehen.

So ist es auch nur konsequent in allen premium Fahrzeugklassen die Alternative zum Verbrenner als EQ-Modell anzubieten. Für uns ideal wäre ein EQE T-Modell 4Matic – leider bietet Mercedes hier erst demnächst einen EQE SUV und derzeit das EQE Limousinen Modell an. Diese hat leider ähnlich dem Model 3 einen eher familienuntauglichen Ausschnitt als Kofferraumklappe. Der EQS hingegen hat analog zum Panamera und Tesla Model-S eine grosse Heckklappe bei der die Scheibe mit aufschwingt. Mercedes hat aber keinen Frunk vorgesehen, Ladekabel müssen also auch hinten rein.

Der Kofferraum bietet ähnliches wie unser Panamera GTS, inkl. Ladekante.
Sitze lassen sich umlegen – dann ist aber eine Stufe im Weg.

In unserer Diskussion um die Nachfolge vom 5er schauen wir uns also den EQS 580 4matic an, das in 2022 vermutlich modernste Elektroauto von einem deutschen Hersteller. Und damit es gleich auf den ersten Zeilen geklärt ist – ja unsere Wunschausstattung würde 220.000 CHF laut Liste kosten. Absoluter Wahnsinn und damit fast doppelt so teuer wir unser 530xd in 2019 laut Liste gekostet hat und immerhin 40.000 CHF mehr als der Panamera GTS laut Liste 2015 gekostet hätte. Natürlich war im Herbst 2022 die Bereitschaft der Händler Rabatte auf die Fahrzeuge einzuräumen bzw. überhaupt eine Bestellung anzunehmen, nahe Null – selbst wenn man auf den Vorführwagen- und Gebrauchtwagenmarkt der Schweiz im September schaut – war unter 140.000 CHF kaum ein interessanter EQS 580 zu bekommen, der EQS 450 notiert ab 112.000 CHF.

Design ist bekanntlich Geschmacksache –
hat man keinen direkten Vergleich wirkt der Mercedes kleiner als er ist.
Mercedes sollte noch über Felgendesigns nachdenken – das kann Porsche z.B. beim Taycan besser.

Übrigens auch bei diesen Fahrzeug ist Mercedes eher „pessimistisch“ was den Restwert angeht und entsprechend schlecht fallen auch die Leasingkonditionen aus. Aber wollen wir dem EQS mal nicht nur seinen hohen Preis vorhalten sondern auch einen Blick auf das werfen, was wir für unser Geld bekommen würden.

Sehr bequeme Sitze – lange Strecken sollten kein Problem sein.
Zahlreiche Ablagen zeichnen das durch den Hyper MBUX Screen dominierte Cockpit aus.
Wer im EQS seine Sachen nicht verstaut bekommt, ist selber schuld… Ablagen hat es ohne Ende!

Zunächst der Innenraum – luftig, hell, geräumig – zeigt keinerlei Anzeichen von Platzangst und bietet auf allen Plätzen ausreichend Bewegungsraum. Mercedes hat die E-Auto Architektur konsequent genutzt und an jeder nur möglichen Stelle über sinnvolle Fächer nachgedacht – die auch meist noch notwendigen USB Ladebuchsen anbieten.

Auch unter der Mittelkonsole findet sich viel Platz für allerlei „Zeug“ was eine Ladebuchse brauchen könnte…

Die Materialien überzeugend weitestgehend durch gute Qualität und hervorragende Verarbeitung. Einzig einem 220.000 Auto unwürdig sind die Lüftungsdüsen – billiges hartes Plastik wie man es sonst nur von Fiat & Co kennt – schade Mercedes, hier hätte man das nette Turbinenstyling auch Aludruckgussteil ausführen können. Dafür bietet der Mercedes eine gelungene und umfassende Ambientebeleuchtung.

Das Material der Lüftungsdüsen ist eine Enttäuschung, im Gegensatz zum Rest des EQS.

Die Sitze sind aktiv belüftet, beheizt und mit Massagefunktion ausgerüstet. Das Gestühl ist äusserst bequem und lässt sich optimal auf alle Körpergrössen anpassen. Die Glasdächer halten den Innenraum luftig & hell, man fühlt sich einfach wohl im EQS der mit seiner Raumausnutzung überzeugt.

Viel Licht im Innenraum, dank zweier Glasdächer.
Einstieg nach hinten erstaunlich eng und knapp, im Vergleich zur vorderen Sitzreihe – ob es hier irgendwann auch mal ne Langversion geben wird?
Die Rückbank ist bequem, bietet aber kaum Seitenhalt. Isofix geht einfach zu befestigen.

Trotz der rahmenlosen Scheiben ist der EQS sehr leise. Es dringen kaum Fahr- noch Windgeräusche an die Passagiere.

Der Hyperscreen im Armaturenbrett beim (580 4matic Teil der Serienausrüstung) ist schon beeindruckend in seiner Grösse. Insgesamt hat sich Mercedes bei der Bedienung wirklich mühe gegeben und die Funktionen sind durchdacht. So blendet der EQS z.B. ein Bild der Ampel vor der man steht ein und erleichtert damit auch in Innenstädten dem Fahrer das Leben.

Clever – der EQS nutz sein Kamerasystem um die Ampelanlage im Display anzuzeigen.
Nachteil des Hyperscreens – er spiegelt je nach Lichteinfall stark.
Langsam aber sicher kommen wir der Brücke der Enterprise-D näher 😉

Der Hyperscreen informiert auch über den Zustand des Akkus und erlaubt auch dem Beifahrer sinnvolle Informationen abzurufen. Die Bedienung vom MBUX geht flüssig von der Hand und ist ein grosser Fortschritt zu früheren gruseligen Mercedes Command Systemen. Nimmt es sogar mit den aktuellen iDRIVE Varianten von BMW auf. Die 3D Surround Kamera nutzt auch den Screen und ist gut investiertes Geld, denn aus dem Heckfenster lassen sich die Dimensionen der Limousine nur schwierig abschätzen. Das Navigationssystem arbeitet flüssig und rechnet auch komplizierte Routen zügig aus, wobei es auch Ladestops einplant und Ladesäulen Informationen anzeigt. Überflüssig und eher verwirrend bzw. ablenkend ist das Augmented Reality Navi Info im Head-Up Display.

Kurz zum Thema Software – während der ausgiebigen Probefahrt verhielt sich der EQS unauffällig, alles funktionierte und auch Spurhalteassistenz und Abstandstempomat sind über jeden Zweifel erhaben. Es gibt aber Berichte von einigen Besitzern, dass auch der Mercedes nicht frei von Softwarepannen ist – erst kürzlich soll dank eines inkompatiblen Softwareupdates von EnBW die EQS Flotte an keiner Ladesäule mehr erkannt worden sein und auch Mercedes selber scheint nicht immer alles Fehlerfrei over-the-air zu verteilen. Apropos Fehlerfrei… der neuste Trend geht auch am EQS nicht vorbei – Touchsensible Bedienung z.B. Schiebedach und Leseleuchten, wobei diese sich damit nicht immer treffsicher & exakt bedienen lassen. So habe ich mehre Anläufe gebraucht um die Verdunklung des Schiebedachs zu aktivieren und nicht das Dach zu öffnen.

Die drei Bildschirme (ganz links Tacho, mitte Navibildschirm und rechts Beifahrer) lassen sich individuell ansteuern und mit unterschiedlichen Informationen belegen.
Angeblich sind bis zu 200kW Ladeleistung möglich – unser EQS wollte an der Ionity Säule jedenfalls keinen Strom nehmen…

Kommen wir zur Frage nach dem Fahrverhalten dieser „Elektro S-Klasse“. Hier ist neben den niedrigen Windgeräuschen auch die sehr gute Federung und Traktion lobend zu erwähnen. Mercedes schafft es gut das hohe Gewicht des EQS für ein sehr ausgewogenes Fahrverhalten einzusetzen. Dank Hinterachslenkung ist der 2.6 Tonnen und 5.20 Meter lange Mercedes sehr agil und die Beschleunigung seiner 2 Motoren ist atemberaubend (0-100km/h unter 5 Sekunden!). Die gebotene Leistung ist enorm und stellt selbst Sportwagen vor schwierige Aufgaben, sollten sie diese übertreffen wollen. Der Akku des EQS 580 soll angeblich satte 107 kWh haben und damit Reichweite über 650km ermöglichen – für ein Reiseraumschiff wahrlich beeindruckend. Auf unseren 79 sportlich gefahrenen Kilometern ist der Akku von ursprüngliche 576km bei 97% Reichweite auf 469km bei 79% gefallen, das ganze bei 14°C Aussentemperatur und laut Bordcomputer einem Verbrauch von 22.8 kWh/100km. Mit einer solchen Reichweite kommt der Mercedes in Regionen, wo er als tatsächliche Alternative für einen Benziner gelten kann. Der Antrieb lässt sich übrigens relativ gut im One Pedal Modus fahren, nur nicht bis zum Stand. Das Bremspedal ist gut dosierbar und erlaubt auch sportliche Gangart in Kurven – hier merkt man übrigens dann doch irgendwann das Gewicht des EQS – denn meist fährt man zu schnell hinein und schiebt über die Vorderräder.

So, would you buy one… Der EQS ist ein überzeugendes Luxus – EV, welches mit cleveren Lösungen zeigt, was man aus einer Elektroplatform herausholen kann und vermutlich in 3-6 Jahren auch in günstigeren Modellen möglich sein wird. Den Blick in die Zukunft lässt sich Mercedes ordentlich bezahlen. Die Aussicht auf eher mittelmässige Restwerte und vermutlich anhaltend hoher Innovationsgeschwindigkeit bei Elektrofahrzeugen hinsichtlich Reichweite & Ladegeschwindigkeit, trüben das Bild in der Gegenwart ein. Als Neuwagen für den Privatmann – eher nicht geeignet. Muss es unbedingt dieser EV als Reisewagen sein, dann lohnt es sich ggf. 1-2 Jahre zu warten, dann dürften interessante EQS als Leasingrückläufer bei den Händlern stehen oder mann greift zur normalen S-Klasse aus 2022 mit Diesel (S350d startet um die 135.000 CHF) oder Benziner (S450 4M ab 138.000 CHF, S580e4M ab 140.000 CHF ) Modelle aus 2021 sind am Gebrauchtwagenmarkt bereits um 100.000 CHF zu bekommen… das Delta zum EQS kann man dann locker in Benzin investieren.