Wer in den letzten zwei Jahren häufiger Auto YouTuber verfolg hat, insbesondere aus dem englisch sprachigen Raum, der wird sicher deren Begeisterung für den neuen LAND ROVER Defender mitbekommen haben.
Der modere Nachfolger des legendären britischen Geländewagens, der im Original nur wirklich von der Mercedes G-Klasse herausgefordert wurde, zeigt sich in den Test-& Erfahrungsberichten als der Liebling der Großgrundbesitzer, Stadtkinder und Pferdeanhängerzieher sowie der Familienkutschierer.
Nicht wenige halten den neuen Defender für das ideal Familienauto – viel Platz, robuste Materialen im Innenraum und guter Reisekomfort. In Kombination mit einem 3 Liter, Reihen 6-Zylinder Diesel mit gut 300 PS und 650 Nm Drehmoment sollte auch langen Familienurlauben nichts im Wege stehen.
Insbesondere wer sich für den 130er entscheidet bekommt einem 5.35m langen und gute 2.66 Tonnen schweres Ungetüm auf den Hof gestellt – da kommt dann auch irgendwann der durchaus kultivierte D300 an seine Grenzen. Man fühlt sich zwar immer ausreichend motorisiert – aber wirklich flott geht es nicht voran. Der Landi vermittelt einem viel mehr das Gefühl – komme was da wolle, wir kommen gemeinsam ans Ziel – no matter what – in der Ruhe liegt die Kraft! Trotz seiner Grösse ist er übrigens erstaunlich übersichtlich und lässt sich gut abschätzen. Genauso helfen die Parksensoren und Kameras dabei das Fahrzeug genau zu positionieren. Sollte man den Stauraum mal wirklich mit vielen Passagieren oder viel Gepäck bis zur Decke ausgenutzt haben (es gibt Leute die behaupten er schluckt einen Euro Palette), dann hält der Landi noch einen praktischen Trick auf Lager. Der Rückspiegel lässt sich auf einen Videofeed umschalten und man hat die Strasse hinter sich jederzeit im Blick.
Der Innenraum zeigt sich modern und praktisch eingerichtet. Ablagen und Fächer gibt es im Überfluss. Die verwendeten Materialien vermitteln einen „stabilen“ Eindruck, versprühen aber schon eher einen rustikalen, praktischen Charme. Das Infotainment entspricht dem aktuellen Stand den Jaguar-Land Rover (JLR) im Angebot hat und lässt sich in der neusten Version relativ gut bedienen. Android Auto und Apple Car Play funktionieren mit unseren Geräten auf Anhieb. Hilfreiche Informationen wie z.B. die Abmessungen des Fahrzeugs können eingeblendet werden, genauso sind unterschiedliche Modi für die Terrain Response über die Displays wählbar. Die Qualität der verbauten Hifi Komponenten reicht zur Beschallung der Familie völlig aus und macht durchaus Laune.
Sicherlich beeindruckend ist das Raumgefühl – hoch oben über der Strasse, hinter der steil stehenden Frontscheibe stellt sich sofort das Gefühl ein man würde sich gerade auf dem Weg zu seinem Landsitz in den Schottischen Highlands befinden. Dank Glasdach wirkt die Kabine auf allen Plätzen luftig und es stellt sich nirgends wirklich Platzangst ein.
Was allerdings bei dem von mir gefahrenen 130er mit dritter Sitzbank im Kofferraum ziemlich leidet ist die Nutzbarkeit des Kofferraums – da sich eine ziemlich unschöne Stufe mitten in den ansonsten riesigen Kofferraum geschlichen hat (soviel zur Euro Palette… nicht bei dritter Sitzreihe!). Die rechts angeschlagene Heckklappe mit angehängtem Reserverad fordert seinen Bediener zum Armdrücken heraus und dürfte nicht für alle Besitzer wirklich praktisch sein.
Doch zu einem guten Familienauto zählt auch der Reisekomfort, Windgeräusche und für die Landstrecke entsprechend gute Sitze. In diesen Kategorieren überzeugt der Defender 130 leider nicht vollständig. Der Reisekomfort wird durch die eher straff ausgelegte Luftfederung auf Autobahnen mit Querfugen merklich eingeschränkt – da kommt dann schon eher der Last Kraft Wagen im Landi durch. Genauso trägt sein hoher Schwerpunkt naturgemäss nicht zu einer sportlichen Strassenlange bei. Der Aufbau schwankt stark und vermittelt schnell ein komisches Gefühl in engen oder schnellen Kurven. All zu schnell will man aber sowieso nicht unterwegs sein, denn der Landi bleibt bis 120km/h relativ leise, darüber sind die Wind- und Abrollgeräusche nicht zu überhören.
Wirklich störend und aus meiner Sicht unnötig nah am Nutzfahrzeug sind hingegen die Sitze. Viel zu kurze Sitzflächen, sowie unzureichender Seitenhalt und Unterstützung im Bereich der Schultern machen zwar den Einstieg einfach, aber das war es dann auch an Vorteilen. Auch ist die Ergonomie zumindest für mich als Fahrer (1,8m gross) extrem unangenehm. Man sitzt sehr aufrecht, damit auch relativ weit vorne und stösst somit laufend mit den Knien an der Lenksäule an. Das nicht nur beim Ein- & Aussteigen, sondern auch wenn man mal die Position des rechten Beins verändern will. Schade, hier orientiert sich der neue Defender dann doch eher an seinem Vorfahren als an seinen Luxus Geländewagen Brüder der Marke Ranger Rover. Unverständlich ist auch die Qualität der Assistenzsysteme – Spurhalteassistent und Abstandstempomat fallen ggü. denen unseres 5er (4 Jahre alt) deutlich ab. Die Spur wird nicht wirklich gehalten sondern nur das Verlassen verhindert – die Fuhre schlingert zwischen den zwei weissen Linien hin und her. Schade – hier hat man zu der deutschen Konkurrenz noch ziemlich viel Luft.
Will man einen LAND ROVER Defender 130 als D300 auf die eigene Einfahrt stellen, dann muss man aktuell in der Schweiz für Fahrzeuge die beim Händler stehen um die 150.000 CHF auf den Tisch liegen. Die Händler sind übrigens nicht sonderlich optimistisch bzgl. der Restwerte der Fahrzeuge – Leasingkonditionen sind entsprechend unattraktiv. Ein Neufahrzeug bestellen wird übrigens schwierig, extrem lange Lieferfristen und teilweise nicht lieferbare Ausstattungsmerkmale vermiesen die Laune.
Als Nachfolger für unserem 5er BMW hat der Defender 130 alles gegeben und konnte am Ende dann doch die Familie nicht ganz überzeugen. Vermittelt er zwar diese Gefühl von grenzenloser Fortbewegung, Sitzposition, Fahrkomfort und Assistenzsysteme reichen nicht an den 530xd Touring heran und disqualifizieren den Landi für die Aufgabe unseres neuen Familienwagens.
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